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Schülerin

Die Bildungspolitik der Weimarer Republik und die Umsetzung der Schulreformen in Gotha ebneten Eva den Weg zum Abitur. Ob sie diesen bis zum Ende gehen würde und die Aufbauschule nach 13 Jahren erfolgreich abschließen konnte, hing dabei von vielen weiteren Faktoren ab: von der Unterstützung durch ihre Eltern und durch ihre Lehrer:innen.

Ausschlaggebend für den Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen aus kleinbürgerlichen Familien und dem Arbeitermilieu waren jedoch nicht nur Schule und Elternhaus. Fördernd wirkten auch außerunterrichtliche Freizeitangebote und das bildungsfreundliche Klima in der Jugendbewegung.

  • Was motivierte Eva zum Lernen?
  • Wie erlebte sie die Schule?

In ihrem Tagebuch beschrieb Eva, wer sie angeregt und ermutigt hat, das Abitur zu machen. Sie schilderte oft Momente, in denen sie keine Lust zum Lernen verspürte, hielt aber auch fest, wann sie sich in der Schule klug und leistungsstark fühlte. 

Ob Eva das Abitur machen konnte, hing weniger von ihrer Motivation, sondern vor allem von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab: „Nun haben wir nach 14 Tagen Ferien schon wieder Schule. Sehr schön ist es nicht, aber was soll man machen. Nun ist bald Ostern. Das wird schwer werden. Ich will das Abitur machen u. Papa u. Mama wollen mich schon Ostern rausnehmen. Na, mal sehen, was das wird, ob ich meinen Willen durchsetze. So entzückt war ich zwar nicht von der Schule, aber zu Hause will ich erst recht nicht bleiben. Ich sehe doch, wie es Ilse geht. Die möchte gerne weg und etwas lernen.“ (8.1.28.27.)

Offenbar mangelt es zu Hause an Anregungen zum Lernen. Evas Eltern haben den Schulbesuch aber nicht nur toleriert, sondern auch finanziert. Ihren beiden Kindern Eva und Max, die noch zur Schule gingen, stand keine Freistelle zu, für die das Schulgeld erlassen oder reduziert wurde: „Siegfried ist zu Hauſe im Geſchäft, Ilſe auch. Dora führt Mit Mama die Wirtschaft. Max und ich gehen noch in die Schule. Bernhard iſt in Satu-Mare in Rumänien in einer Jeschiwah.“ (Elbing, 3.8.25)

Dabei blieb die finanzielle Lage der Familie Schiffmann schwierig, sodass die Studienwünsche von Max und Eva durch die Eltern immer wieder abgewiesen wurden: „Bernhard hat heute wieder ein Bewerbungsschreiben abgeschickt. Er will jetzt unbedingt weg. Ilse möchte auch weg. Wir geben das Geschäft in der Mohrenstraße wieder auf. Das in Mehlis ist umgebaut worden. Max hat mit Pa und Ma gesprochen. Er will Medizin studieren. Es ist aber zu teuer. Es ist doch schrecklich, wenn man nicht reich ist. Die Welt ist doch dov.“ (21.11.28.)
„Max macht Ostern Abitur. Er möchte gern Medizin stud. u. darf nicht wegen d. Geldes. Ich habe zu keiner andern Ausbildung Lust, als zum Studieren. Wenn ich das Abitur habe, nehme ich eine Stelle an, verdiene Geld u. studiere.“ (Gotha, d. 1.1.1929.)
 

Evas Streben nach Bildung waren zuhause Grenzen gesetzt. Jedoch traten andere an die Stelle der Eltern. Im Tagebuch taucht des Öfteren Evas Lateinlehrerin Dr. Luise Vogel auf. Obwohl sich Eva in ihren Bedürfnissen als Schülerin und heranwachsende junge Frau oft unverstanden fühlte, sah sie in ihrer 31 Jahre alten Lehrerin auch ein Vorbild: „Manchmal wünsche ich Frl. Vogel zu sein u. vor unserer Klasse zu stehn u. zu unterrichten. Ich denke nat. immer, daß ich eine Lehrerin sein würde, die sich mit Schülern u. Schülerinnen (Ich bin für Koed(..)tion) sehr gut verstände.“ (Gotha, d. 4.11.1928)

Lehrer, mit denen sie sich auch außerhalb des Unterrichts austauschen konnte, wirkten auf sie motivierend: „Heute will ich mal von Herrn Stoll schreiben. Wir haben Singen und Klavierspiel bei ihm. Wir reden auch oft über außerschulische Dinge. Er ist (hauptsächlich den Mädchen gegenüber) gar nicht wie ein Lehrer. Er erzählt mir oft vom Judentum und Chassidismus. Lischen kann er sehr gut leiden. Er macht immer so geheimnisvolle Andeutungen, als ob sie sich mal zu irgend etwas Besonderem entpuppen würde. Z. B. Sie wollte eigentlich Ostern abgehen, und auf eine Bank. Herr Stoll (Molly) sagte: Das sei nichts für sie.“ (d. 26.2.28.)

Im Arbeitsunterricht wurde kein stures Auswendiglernen mehr verlangt. Die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften kam der Motivation und Selbstständigkeit beim Lernen zugute. Einige Fächer und Unterrichtsthemen konnten frei gewählt werden: „Ich gehe zu Frl. Vogel in die Arbeitsgemeinschaft. Wir lesen jetzt ein Buch von Eberhard König. Eberwein, unser engl. Lehrer, spricht stundenlang über Politik. Dabei habe ich bemerkt, daß Hein[z] Kerneck der intelligenteste Junge unserer Klasse ist, wenn auch Fritz Büsche[l] u. a. klüger sind.“ (21.11.28)

Es gab ein breites Bildungsangebot: „In einigen Wochen will Peter Brückner von der Volkshochschule (ein Onkel v. Otto Geyer) Arbeitsgemeinschaften über Religion halten. Der ist nicht an der Kirche, hat aber nat. einen Glauben.“ (17.1.29.)

Vom evangelischen Religionsunterricht waren Eva und drei weitere Mitschüler:innen befreit. An der Aufbauschule konnte sie offenbar so lernen, dass ihre Neugier geweckt und Interessen berücksichtigt wurden: „Im Unterricht wird der Lange immer besser. Wir führen jetzt in Deutsch u. Geschichte den modernen Arbeitsplan durch. Unsere Klasse ist im Durchschnitt gar nicht so übel.“ (23. Sept. 29)

Was in der Schule vermittelt wurde, nahmen die Schüler:innen nicht unhinterfragt hin. Auch Eva war es wichtig, sich ein eigenes Urteil zu bilden: „Herr Liffert hat neulich in Geschichte einiges von Kant gesagt. Dabei ist er in ‚logischer‘ Entwicklung auf ein Leben im Jenseits gekommen. Kurz: Ein armer, guter Mensch, ein reich, schlechter. Der 1. ein Leben voll Trübsal, der 2. herrlich u. in Freuden. Beide sterben genauso. Da es eine Gerechtigkeit gibt, muß der 1. Seinen Lohn, der 2. seine Strafe bekommen. Ja, wieso ist das logisch? Wer hat denn den Begriff: Gerechtigkeit aufgestellt? Genauso ist es mit der Lüge. Was ist Wahrheit? Warum soll man denn nicht lügen, wenn man damit jemand nützen kann? Allerdings lüge ich auch manchmal aus egoistischen Gründen, z.B. und empfinde gar keine Gewissensbisse dabei.“ (17.1.29.)

Evas Bewertungen über ihre Lehrer und ihre einzige Lehrerin Dr. Vogel deuten auf ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis hin: „Lehrer haben wir von allen Sorten. Sehr gut leiden kann ich Herrn Liffert. (Klassenl.: Deutsch, Geschichte), Herrn Stoll (Musik) Mittelmäßig Scheffel (Werkunterricht, Frl. Dr. Vogel (Latein) Glomp (Erdkunde, Chemie) Frl. Genetske (Turnen, Handarb.) Nicht leiden kann ich unseren Direktor Steinmayer. Fast nicht d. h. manchmal gar nicht manchmal ganz gut Mathematiklehrer Diem.“ (Gotha, d. 23.10.27.)

Der Unterrichtstil an der Aufbauschule scheint wenig autoritär gewesen zu sein: „Herr Liffert ſagte heute, ein junger Menſch nimmt alles auf, was er hört. Das ſtimmt zum Teil. Ich finde auch oft zwei Menſchen Meinungen richtig. Herr L. iſt ein ganz feiner Lehrer. Er unterrichtet am beſten von allen. Aber ſo iſt er ein Waſchlappen."

In ihrem Tagebuch verteilte Eva unverblümt Sympathie und Antipathie. Die pädagogischen Ansichten, die sie als veraltet empfand, kritisierte sie harsch:  "Frl. Dr. Vogel hat einen Vogel. Zum Be Ein weiſer Ausſpruch von ihr: Leute mit Bubiköpfen ſind privatim für ſie erledigt. Solche Anſichten hat ſie in allen Fragen. Sie ſelbſt trägt lange Kleider mit kurzen Taillen. Dr. Müller ist eigentlich ganz nett unterrichtet ganz gut. Ich kann ihn aber nicht riechen.“ (Gotha, d. 30.08.1928)

In der 8. Klasse (Untertertia) war Eva stolz auf ihre Spitznamen, über die sie ihr unangepasstes Verhalten gegenüber ihren Lehrer:innen darstellte: „Einmal hatten Änne und ich in derselben Stunde jeder einen Apfel. Wenn er den Rücken drehte, ballten wir damit. Er sah es bei Änne, nahm ihr den Apfel weg und legte ihn aufs Pult. Als er sich umdrehte, lief ich vor und holte den Apfel. Er sagte kein Wort. Für solche und ähnliche Dinge bekam ich den Namen Frechdachs. Später, als ich den Bubenkopf hatten, nannten sie mich eine Zeitlang Bubi. Dann wieder Amazone. Da kam so. Ich stand gerade mit dem Rücken zur Tür wie ein Speerwerfer mit dem Zeigestab in der Hand. Dan kam gerade Steinmeyer in die Klasse. Er sah es und sagte, ob ich eine Amazone geworden sei. Es ist schon ziemlich spät. Schluss für heute.“ (d. 22.1.28.)

Noten wurden sowohl für Leistungen in den Fächern als auch für das Verhalten vergeben. Zensiert wurden "Führung", "Fleiß und Ordnung" sowie die "Handschrift". In die Schülerbeurteilungen flossen darüber hinaus noch weitere Kriterien ein. So wurden auch die soziale Herkunft, die Lebensumstände der Familie und das außerschulische Engagement der Schüler:innen berücksichtigt. In einem Lebenslauf sollten sie sich zudem selbst beschreiben können. Die Umsetzung dieser damals noch ungewohnten Anforderungen bereitete auf Lehrer- wie auf Schülerseite Schwierigkeiten, wie gegenseitige Vorurteile und Stigmatisierungen zeigen.

In ihrem Tagebuch beschrieb Eva sich selbst als Schülerin so: „Ich bin ziemlich klein für die Untertertia. Ich bin nicht hübſch, aber auch nicht häßlich, eben ganz gewöhnlich. In der Schule bin ich eine der Beſten. Ich bin aber nicht fleißig. In der Aufbauſchule gefällt es mir aus verſchiedenen Gründen beſſer. I. In der Löfflerſchule war ich die Beſte. Wenn Eva Sch. etwas nicht wußte, war es ſchlimm. Eva Sch. durfte nicht faul ſein. Das kann ich nicht leiden. In der Aufbauſch. iſt das nicht ſo. Ich brauche kein Tugendſchaf zu ſein. Gegen einen Lehrer, den ich nicht leiden kann, bin ich frech. II. Wir haben nicht jede Stunde Bei demſelben Lehrer. III. Es iſt ganz ſchön, wenn man mit Jungen in eine Klaſſe geht.“ (Gotha, d. 25. Okt. 1925)

Eva fiel es nicht leicht, ihr Lernverhalten umzustellen und sich auf neue Unterrichtsmethoden einzulassen. Nach dem Wechsel von der  Volksschule registrierte sie die Erleichterungen und Rechte, die es in einem anderen Lehrer- und Schülerverhältnis an der Aufbauschule gab. Eva fühlte sich aber nicht immer gleichermaßen zum Lernen angespornt und verpflichtet: „Ich habe riesigen Bammel gehabt vor der Versetzung u. bin aber glücklich ‚noch versetzt‘. Ich war ungeheuer faul und bummelig dieses Jahr. Ich will mich bessern!!!!!“ (30.3.30.)

Ausführlich beschrieb Eva die Mitwirkung der Schüler an einer Neuinszenierung des Dramas „Die Räuber“ von Friedrich Schiller im Stadttheater. Sie notierte, dass die gesamte Klasse die moderne Aufführung gegen Kritik verteidigte. Die lokale Presse schrieb, "daß die ‚Räuber‘ unserer Zeit wirklich zu fern sind. Was uns nicht interessiert, kann uns nicht bewegen, rührt nicht an unser Gemüt und läßt uns kalt.“ Die Klasse sammelte Argumente gegen den Verriss im Gothaischen Tagblatt (6.2.1929, o.S.), den Eva mitbrachte:  "Die Pausen waren ausgefüllt mit erregten Diskussionen. Herr Stoll fehlte, und wir baten Herrn Scheffel, die Stunde zu übernehmen. (Er ist Werklehrer und schreibt Theaterkritiken im Volksfreund. Er sprach eine Stunde lang begeistert, wuchtig und überzeugend. Er ist ein Freund Sellners, d. Dramaturgen, und begeisterter Anhänger allen Neuen, besonders der neuen Sachlichkeit. Am nächsten Tag brachte ich die Kritik des Tagblatts, die nichts, gar nichts Gutes andem Stück läßt, wohlwollend von dem jungen, ehrgeizigen Sellner schreibt, aber entrüstet ist, wie man Schiller verbessern will. Pat sprach wieder’n bißchen allgemeinen Kohl, und gab uns gleich einen Aufsatz auf. „Kritik der Räuber.“ Die Bewertung ihres Aufsatzes empfand Eva als ungerecht und diskutierte mit ihrem Lehrer lange über die Note. Sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und um das bessere Argument zu streiten, steigerte ihr Selbstwertgefühl und bestärkte sie darin, ein eigenes Urteil zu behaupten. "Gestern gab er uns unsere Aufsätze zurück. Er stieg auf sein Katheder und sagte feierlich: Die letzten werden die Ersten sein. Ich hatte n. 3, Fr. 3, Dieter n. 3 u. einige andere hatten auch schlecht. Wir bemerkten, daß er die Fleißigen u. seine Lieblinge viel besser zensiert hatte. Bei uns waren fehlerhafte, schlechte Ausdrücke direkt mit der Lupe ausgesucht. Wir wiesen ihm das nach und klagten ihn fast 2 Std. lang an. Er verteidigte sich natürlich. Als ich sagte, er gebe dem Schüler ja doch nie Recht, meinte er, das stimme nicht. Ich hätte nur so einen Widerspruchsgeist, der immer Nein sagt.“ (15.2.29.)

Zugang zu Bildung bot auch die Mitgliedschaft in der Jugendbewegung. Im Jungjüdischen Wanderbund fand Eva Anregungen zur Beschäftigung mit politischen Fragen und kulturellen Themen: „Heute habe ich meinen Aufsatz gemacht. Da wir eine freies Thema hatten, habe ich ein anderes genommen. ‚Am Bundesfeuer‘ vom Bundestag. Ich habe ihn heute gemacht und eingeschrieben, da wir ihn morgen abgeben müssen. Neulich war ich [beim] Jantef-Abend in den ‚Blauen Blusen‘ mit Ilse. Erst durfte ich nicht, aber dann bekamen wir doch die Erlaubnis. Es sind russische Arbeiter. Es war sehr schön, sie sangen und tanzten.“ (Gotha, d. 23.10.27.)

Als Führerin einer eigenen JJWB-Jüngerengruppe gab sie sich gebildet und übernahm Verantwortung in einer praktischen Situation: „Ich führe seit einiger Zeit eine Jüngerengruppe. Es ist doch ziemlich schwer, sie, ohne daß sie es merken, zum Guten zu beeinflussen.“ (19. Sept. 29)  Mit der Schule, außerschulischen Aktivitäten und den Angeboten in der Jugendbewegung summierten sich Lerngelegenheiten, die den Tagesablauf Evas bestimmten: „In der Schule haben wir jetzt viel zu tun. Außerdem habe ich Hebräisch und zweimal die Woche Heimabend bei Toni.“ (Gotha, d. 30.8.28)

Wie Eva stammten auch ihre Mitschüler und Mitschülerinnen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen oder aus Arbeiterfamilien. In den überlieferten Akten der Internatsschüler sind die Berufe der Eltern zu finden: Volkschullehrer, Kolonialwarenhändler, Bäcker, Landwirt, Maurermeister oder Schlosser. Eine Mutter war Kriegswitwe. Ihnen wurde die Zahlung des Schulgeldes für ihre Kinder ganz oder zum Teil erlassen.

Außer Eva lernten 2 Mädchen und 26 Jungen in ihrer Klasse: „Wir sind jetzt drei Mädchen in der Klasse. Außer mir Änne Boeckler und Elisabeth George. Änne ist ja ganz nett, aber sie schwabbelt furchtbar viel. Lischen ist ganz nett. Außerdem sind 26 Jungen in unserer Klasse. Die meisten sind nett. Manche kann ich auch nicht leiden.“ (Gotha, d.23.10.27.) Der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen (Koedukation) an weiterführenden Schulen war zu Evas Schulzeit noch nicht selbstverständlich. Umstritten war die Frage, ob Mädchen grundsätzlich die gleichen Bildungsmöglichkeiten haben sollten. Aber auch die Umstände vor Ort waren ausschlaggebend, wenn ein getrennter Unterricht von Mädchen nicht möglich war. Nach drei Jahren an der Aufbauschule kam Eva zu dem Schluss: „Ich bin für Koed(..)tion“ (Gotha, d. 4.11.28.) und verbesserte in die richtige Schreibweise Koedukation.

Mit Erich Schmettow, Spitzname Sachs, blieb Eva auch nach dessen Abgang von der Aufbauschule 1928 in Briefkontakt. Erich Schmettow (*22. Dezember 1911) war Internatsschüler und stammte aus dem Dorf Rußdorf im Kreis Altenburg. Da seine Eltern ein niedriges und zudem unsicheres Einkommen hatten (=1557 Mark /1924), mussten sie nur die Hälfte der Schul- und Internatskosten (=150 Mark) tragen. Die restlichen Schulkosten, die sie für ihren Sohn übernahmen, machten immer noch ein Zehntel des Familieneinkommen aus. Erichs Vater war Schlosser und kriegsversehrt. Sein Klassenlehrer an der Volksschule hatte den Wechsel an eine höhere Schule ausdrücklich empfohlen: „Schmettow ist ein über den Durchschnitt gut begabtes Kind. Die Denkfunktionen treten besonders in den Vordergrund. Schm. beabsichtigt in die Verwaltung überzugehen oder den Lehrerberuf zu ergreifen. Er besitzt dazu Veranlagung.“ Über den vorzeitigen Abgang Erich Schmettows von der Aufbauschule 1928 schrieb Eva: „Er geht Ostern ab. Sonst würde er, glaube ich, aus dem Internat fliegen, weil er gegen Heinrich furchtbar frech ist.“ (d. 9.2.28). Sie deutete damit an, dass der 16-Jährige aufgrund von Konflikten mit dem Internatsleiter die Schule verließ. Aus den Schulakten geht hervor, dass 1928 offenbar nicht mehr für alle Schüler Freistellen finanziert werden konnten.

Über einen anderen Mitschüler, Heinz Kerneck, ist mehr bekannt. Er war von 1957 bis 1968 Rundfunkintendant von Radio Bremen. Der Sohn eines Glasbläsers absolvierte nach dem Abitur 1931 zunächst eine kaufmännische Lehre. Der allgemeine Rückgang der Studierwilligkeit Anfang der 1930er Jahre deutet sich auch in den Berufsentscheidungen Evas und anderer Mitschüler an. In der angespannten Arbeitsmarktlage der Weltwirtschaftskrise wurde damals Abiturient:innen eine Lehre in der Industrie, in Handwerk und im Handel, bei den Sekretariatsdiensten von Behörden oder eine landwirtschaftliche Tätigkeit empfohlen.

NameGeburtstagBerufswunschInternatsakte
Heinz Reinhard Axthelm27.5.1909, BachraPfarrerVater Volksschullehrer
4 Kinder
1/4 Freistelle (Antrag = Rücksicht auf Kinderzahl)
Hans-Rudolf Bach12.3.1912, Tambach-DietharzZahnarzt 
Alfred Hermann Ludwig Balzer20.6.1912, FrankenhainKaufmannStand der Eltern
Kriegswitwe
2 Kinder und Unterstützung der alten Schwiegereltern 
1/2 Freistelle
Maria Agnes Anna Bockler3.5.1912, BreitenbachVolksschullehrerin 
Wolfgang Leopold Wilhelm Boehm15.9.1908, PettauNationalökonomie 
Friedrich August Büschel12.5.1911, ErfurtVerwaltungsbeamter 
Herbert Konrad7.11.1911, ErfurtVerwaltungsbeamter 
Klaus August Ernst Frommann27.3.1911, OhrdrufApotheker 
Otto Geier1.2.1912, GießübelVolksschullehrerStand der Eltern Kolonialwarenhändler
4 Kinder + Versorgung 70jähriger Mutter
1/2 Freistelle
Heinz Franz Kerneck3.3.1912, JenaKaufmann 
Edgar Rudi Walter Gert Köhler20.3.1912, Wümbach   Volksschullehrer    
Alfred Luis Hermann August Krause13.12.1910,
Steinthaleben
Versicherungsbeamter   Stand der Eltern:
Bäcker und Landwirt
4 Kinder
Ganze Freistelle
Kurt Löffler19.9.1910, Haina   Verwaltungsbeamter    
Karl Werner Mrosko17.1.1913, Kleinfahner   Reichswehr    
Rolf Hermann Friedrich Emil Münch30.9.1912Verwaltungsbeamter    
Heinz Willy Hermann Puffe1.10.1910, GebstedtVolksschullehrer    
Hans Oskar Werner Rößner8.1.1912, KönigseeBauingenieur    
Fritz Hugo Salzmann3.11.1910, Gotha   Bankbeamter    
Eva Schiffmann22.6.1912, GothaGärtnerin    
Erich August Schmettow22.12.19111928 vorzeitiger SchulabgangStand der Eltern: Schlosser
3 Kinder
½ Freistelle – Vater = schwankendes Einkommen, Kriegsverletzung
Bruno Hugo Türk21.3.1911, Tambach-DietharzVermessungsbeamter   Stand der Eltern
Maurermeister
3 Kinder, schlechte Einkommenssituation
½ Freistelle
Walter Voß27.7.1911, Gotha   Karthograph    

Hauptstaatsarchiv Weimar / Thüringisches Volksbildungsministerium B 2944, Bl. 73.

In der Schule hatte ich immer mal eine beste Freundin. (Ich ging sieben Jahre auf die Löfflerschule, u. gehe jetzt in die Untertertia der Aufbauschule mit Jungen in eine Klasse). (Elbing, d. 27. Juli 1925)

Wir heißen Siegfried, Dora, Bernhard, Ilse, Max und Eva, immer ein Pärchen. Siegfried ist zu Hause im Geschäft, Ilse auch. Dora führt mit Mama die Wirtschaft. Max und ich gehen noch in die Schule. Bernhard ist in Satu-Mare in Rumänien in einer Jeschiwah. (Elbing, 3.8.25)

Ich bin ziemlich klein für die Untertertia. Ich bin nicht hübsch, aber auch nicht häßlich, eben ganz gewöhnlich. In der Schule bin ich eine der Besten. Ich bin aber nicht fleißig. In der Aufbauschule gefällt es mir aus verschiedenen Gründen besser. I. In der Löfflerschule war ich die Beste. Wenn Eva Sch. etwas nicht wußte, war es schlimm. Eva Sch. durfte nicht faul sein. Das kann ich nicht leiden. In der Aufbausch. ist das nicht so. Ich brauche kein Tugendschaf zu sein. Gegen einen Lehrer, den ich nicht leiden kann, bin ich frech. II. Wir haben nicht jede Stunde Bei demselben Lehrer. III. Es ist ganz schön, wenn man mit Jungen in eine Klasse geht. Am besten kann ich Heinz Kerneck leiden. (Gotha, d. 25. Okt. 1925)

Augenblicklich haben wir Ferien. Dienstag, Schemini Azereth müsen wier wir wieder in die Schule. Nun will ich Schluß machen für heute. Ich muß noch einen Aufsatz machen. „Im Theater“ eine Skizze. (Gotha, d. 16.10.27.)

Ostern mache ich mein Einjähriges. Papa und Mama wollen zwar, daß ich mein Ostern abgehen von der Schule, ich möchte aber mein Abitur machen. Wir sind jetzt drei Mädchen in|der Klasse. Außer mir Änne Boeckler und Elisabeth George. Änne ist ja ganz nett, aber sie schwabbelt furchtbar viel. Lischen ist ganz nett. Außerdem sind 26 Jungen in unserer Klasse. Die meisten sind nett. Manche kann ich auch nicht leiden. Lehrer haben wir von allen Sorten. Sehr gut leiden kann ich Herrn Liffert. (Klassenl.: Deutsch, Geschichte), Herrn Stoll (Musik) Mittelmäßig Scheffel (Werkunterricht, Frl. Dr. Vogel (Latein) Glomp (Erdkunde, Chemie) Frl. Genetske (Turnen, Handarb.) Nicht leiden kann ich unseren Direktor Steinmayer. Fast nicht d. h. manchmal gar nicht manchmal ganz gut Mathematiklehrer Diem. Steinmayer kommt mir manchmal direkt blöd vor. (Gotha, d. 23.10.27.)
Nun haben wir nach 14 Tagen Ferien schon wieder Schule. Sehr schön ist es nicht, aber was soll man machen. Nun ist bald Ostern. Das wird schwer werden. Ich will das Abitur machen u. Papa u. Mama wollen mich schon Ostern rausnehmen. Na, mal sehen, was das wird, ob ich meinen Willen durchsetze. So entzückt war ich zwar nicht von der Schule, aber zu Hause will ich erst recht nicht bleiben. Ich sehe doch, wie es Ilse geht. Die möchte gerne weg und etwas lernen. (8.1.28.27.)

Gestern habe ich etwas gelesen. Ein Junge (Kommunist) schreibt aus der Schule, er habe so einen gemeinen Lehrer usw. Bei uns sind ja nicht solche Zustände, aber es könnte auch manches besser sein. Es gibt ja jetzt schon Reformschulen, aber erstens sind sie schon noch nicht verbreitet, zweitens gefallen sie mir auch nicht so gut. Es sind da hauptsächlich die Kinder freier und die Lehrer netter. Bei uns sind auch zwei sehr nette Lehrer, mit denen man sich wie mit Kameraden unterhalten kann. Herr Liffert und Herr Stoll. (8.1.28.27.)
Einmal hatten Änne und ich jed in derselben Stunde jeder einen Apfel. Wenn er den Rücken drehte, ballten wir damit. Er sah es bei Änne, nahm ihr den Apfel weg und legte ihn aufs Pult. Als er sich umdrehte, lief ich vor und holte den Apfel. Er sagte kein Wort. Für solche und ähnliche Dinge bekam ich den Namen Frechdachs. (d. 22.1.28.)

Neulich hatten wir ein Erlebnis mit Heinrich. Wir konnten die Mathematik nicht und ließen sie uns vom Sachen geben. Der wollte sie aber am gleichen Tage noch zurück haben und wir wollten, sie in der Klasse auf seinen Platz legen. Lischen und ich waren bei Änne und rechneten bis sieben Uhr. Wir schrieben nicht ab hätten also das Heft gar nicht gebraucht. Dann gingen wir in die Schule. Änne und Lischen blieben vo unten von innen an der Tür stehen. Ich ging die Treppe hinauf bis zur Schiebetür. Dort blieb ich stehen. Da hörte ich, daß die Tür des Speisesaals aufging. Da es Abendbrotzeit war, dachte ich Heinrich wäre es und lief die Treppe hinunter. Änne und Lischen sausten natürlich im Galopp davon. Als ich unten ankomme, kommt Heinrich mir entgegen. Lischen und ich blieben nun stehen. Dann rief er auch Änne zurück. Er fragte uns, was wir wollten; ich sagte ihm die Wahrheit. Er nahm das Heft ab und ging hinein. Am andern Tag sagte uns Schmettow, daß Heinrich zu ihm nichts gesagt habe. Nur auf eine Bude hat er erzählt, als er gekommen sei, wäre E. Schiffmann ihm in die Arme gelaufen. Sachs wüßte ja schon was los war. In der Mathem.-Std. klopfte es. Ein Junge gab mit einem schönen Gruß von Steinm. daß Heft ab. Da inzwischen etwas anderes mit Büchel und Schmettow vorgefallen war, dachte Diem, Heinrich hätte das Heft deswegen geschickt. In der Pause erzählte der Junge, daß er eigentlich sagen sollte, das Heft hätte E. Sch. dem Schmettow bringen wollen. Die Sache habe aber nicht geklappt. Dem Jungen war das zu viel, dadurch merkte Diem gar nichts. – Ostern haben wir unsere Einj.-Feier. Da wollen wir drei Mädchen und Kurt Börner singen. Der Otto Geier begleitet auf dem Klavier. Dann auf einmal, so im Gespräch sagte Otto zu Änne: Du bist überhaupt schon ganz verdorben. Änne ärgerte das und sie weinte. Otto machte sich nichts draus und nahm weder d. Beleidigung zurück, noch erklärte er, was er damit gemeint habe. Jetzt ist Änne mit ihm böse, und auch wir zwei reden fast nicht mit ihm. Sonnabend singen wir wieder zusammen. Mal sehen, was das wird! Neulich sagte der Sachs zu mir, ob ich nicht mal mit ihm ins Theater gehen könnte. Ich sagte nicht ab und nicht zu. Heute fragte er mich, ob es mir am Sonnabend abend paßt. Ich sollte ihm heute nachmittag Bescheid sagen. Wir haben nämlich Donnerstag nachmittag Lektüre bei Dr. Müller in der Wohnung. Da fragte Sachs mich dann; Ich sagte ihm: Ich könnte überhaupt nicht weggehen. Er hatte zu mir gesagt, er müsse mir etwas sagen. Ich sagte: Wenn du etwas sagen willst, so kannst Du es doch in der Schule tun. Aber er sagte: Ja, das ginge nicht. Er könnte es nicht so mit einem Wort sagen und müsse auch mit mir allein sein. Na, wenn es nicht ginge, wär‘ es schade aber nicht zu ändern und ich solle doch mal zusehen, ob es nicht doch zu machen sei. Ich denke natürlich gar nicht daran, mit ihm wegzugehen. Er geht Ostern ab. Sonst würde er, glaube ich, aus dem Internat fliegen, weil er gegen Heinrich furchtbar frech ist. – Lischen bleibt sicher doch da. Sie wollte eigentlich abgehen. Herr Stoll hat Lischen sehr gern und hat mit ihrer Pate gesprochen, sie sollte doch auf der Schule bleiben, sie bliebe nicht sitzen. Ich will heute bald schlafen gehen und deshalb Schluß machen. (d. 9.2.28.)

Ich bleibe sicher doch auf der Schule. Papa u. Mama reden nicht mehr vom Abgehen. (d. 26.2.28.)
Der nächste Tag war der letzte Schultag. Ich verschlief es und ging vielleicht 20 Min. später zur Schule. Als ich die Kaiserstr. hinauf ging, sah ich Schm. oben stehen. Wir gingen zusammen weiter. Da kam der Frosch. Er fuhr schon nach Hause. Wir verabschiedeten uns von ihm. Schm. wollte unbedingt, daß ich nicht gleich in die Klasse ginge, da tat ich es dann nicht. Er sagte zu mir, ich hätte ihm doch noch etwas sagen wollen. Ich sagte: „Ich habe einen andern Jungen“, „Sage es doch!“ (Eintrag vom 2.4.1928)

Heute ist wieder, schönes Wetter. Ich habe gar keine Lust mehr zur Schule und zum Lernen. (25.5.28.)

In der Schule bin ich sehr faul. Ich habe jetzt zum 1. Mal eine Mitteilung bekommen. Da mache ich mir gar nichts draus. Mama sagte gleich, ich sollte abgehen. Ich denk‘ nicht dran. (Gotha, d. 15. Juli 1928.)

In der Schule haben wir jetzt viel zu tun. Außerdem habe ich Hebräisch und zweimal die Woche Heimabend bei Toni. (Gotha, d. 30.8.28.)

In einigen Wochen will Peter Brückner von der Volkshochschule (ein Onkel v. Otto Geyer) Arbeitsgemeinschaften über Religion halten. (17.1.29.)

Max hat sein schriftliches Abitur hinter sich. Er hat Mathematik verhauen, und vielleicht Engl. In 3 Wochen ist mündl. Prüfung. Na, ich bin gespannt. – Neulich war es mal interessant in der Schule. Da hat ein Junger Dramaturg am Theater eine Neueinrichtung für die Bühne von Schillers Räubern geschaffen. Als Räuber spielen sämtliche Jungen meiner Klasse mit. Am Tage nach der Erstaufführung war das nun ein Diskussionsthema in der Schule. Da Da konnte man denn auch mal wieder feststellen, welche Lehrer die Schüler auch außerhalb ihres Lehrgang beachten. Der Lange (Pat), Frl. Vogel und Herr Scheffel. Pat ist ein richtiger Waschlappen. Er hat eine Rede darüber gehalten, hat einiges Richtiges dabei gesagt, war dagegen, sagte wieder anders, als er merkte, daß wir alle begeisterte Anhänger der Neueinrichtung sind. (Amalia und Konsinsky sind ganz weggefallen) Dann Frl. Vogel. Die hat wenigstens eine Meinung. (Sie bemüht sich immer, nicht bloß die pedantische Vogelscheuche nach altem Stil zu sein, wenn sie auch einen Vogel hat.) Sie war sehr enttäuscht. Sie braucht Amalia, um sich auszuruhen von all dem Aufregenden. Das finde ich absolut unnötig. Wozu denn ausruhen? Sie findet auch den Schluß psychologisch unwichtig, wo ich wieder nicht mit mihr übereinstimme. (Franz Moor wird von den Räubern in den Turm geworfen). Das deutsche Volke sei einer solchen Grausamkeit nicht fähig. Die Pausen waren ausgefüllt mit erregten Diskussionen. Herr Stoll fehlte, und wir baten Herrn Scheffel, die Stunde zu übernehmen. (Er ist Werklehrer und schreibt Theaterkritiken im Volksfreund. Er sprach eine Stunde lang begeistert, wuchtig und überzeugend. Er ist ein Freund Sellners, d. Dramaturgen, und begeisterter Anhänger allen Neuen, besonders der neuen Sachlichkeit. Am nächsten Tag brachte ich die Kritik des Tagblatts, die nichts, gar nichts Gutes an dem Stück läßt, wohlwollend von dem jungen, ehrgeizigen Sellner schreibt, aber entrüstet ist, wie man Schiller verbessern will. Pat sprach wieder’n bißchen allgemeinnen Kohl, und gab uns gleich einen Aufsatz auf. „Kritik der Räuber.“ Gestern gab er uns unsere Aufsätze zurück. Er stieg auf sein Katheder und sagte feierlich: Die letzten werden die Ersten sein. Ich hatte n. 3, Fr. 3, Dieter n. 3 u. einige andere hatten auch schlecht. Wir bemerkten, daß er die Fleißigen u. seine Lieblinge viel besser zensiert hatte. Bei uns waren fehlerhafte, schlechte Ausdrücke direkt mit der Lupe ausgesucht. Wir wiesen ihm das nach und klagten ihn fast 2 Std. lang an. Er verteidigte sich natürlich. Als ich sagte, er gebe dem Schüler ja doch nie Recht, meinte er, das stimme nicht. Ich hätte nur so einen Widerspruchsgeist, der immer Nein sagt. Na, Pat kann man wenigstens seine Meinung sagen. Diem zensiert immer nach Laune, und man kann kein vernünftiges Wort mit ihm reden. In Erdkunde (auch Pat) sprachen wir von der Entstehung des Menschen u. überhaupt der Welt. (15.2.29.)
Die Schule kotzt mich an. Ich weiß nicht, warum ich nicht abgehe und einen Beruf ergreife für Palästina! Ich kann den Mut dazu nicht aufbringen! Ich möchte auch das Gefühl nicht haben, daß mir irgendein Weg verschlossen ist; ich möchte die Möglichkeit zu allem. Die Wahl wird zwar schwer, aber von Leuten, die Palästina allein als letzte Rettung betrachten, kann das Land nicht aufgebaut werden. (13. Sept. 29)

Ich habe riesigen Bammel gehabt vor der Versetzung u. bin aber glücklich „noch versetzt.“ Ich war ungeheuer faul und bummelig dieses Jahr. Ich will mich bessern!!!!! Sonst ist das Leben ekelhaft langweilig. (30.3.30.)

Wenn ich bloß wüßte warum Herr Stoll mich nicht mehr leiden kann. Es kommt fast nie mehr vor, daß wir ein außerschulisches Wort zusammenreden. Ich nehme mir tausenmal vor, ihn auch nicht mehr zu beachten, so zu sein wie alle andern, ihn nicht anzulachen, aber ein kleines Lächeln und ich strahle ihn an, daß ich hinterher rot werde vor Ärger. Nur manchmal, wenn ich nach Schulschluß unten stehe, und er geht weg, lacht er mich so an wie früher. Ich hätte nie gedacht, daß ein Lächeln einen gleich umstimmen kann. Er lächselt so schön, so herzlich. Ich hätte hundert Fragen an ihn zu stellen, nein tausend, ich möchte mich mit ihm über alles unterhalten, ich möchte brennend gern über sein Leben Bescheid wissen, ob er seine Frau wirklich geliebt hat, wen er noch liebte, ob er nicht lieber einen andern Beruf möchte usw. usw. Aber ich bringe nicht das kleinste Tönchen heraus. Die Klasse kann drängen, ich soll ihn bitten, etwas vorzuspielen, ich kann es nicht. Im Grunde genommen, macht mir aber auch das nichts mehr aus. Ich bin so leer, so ganz ohne Gefühl. (4.4.30.)

Ich möchte einen Punching-Ball haben, und so lange meine Wut an ihm auslassen, bis ich halbtot bin. Jeden Tag in der Schule, oder wenn ich einen aus meiner Klasse treffe, steigt es in mir hoch, daß ich kaum reden kann. Sie sind mir alle so zuwider, so ekelthaft!, so blöde, taktlos, unfein, mit Ausnahme von 2, dreien. (19. Mai 30.)

Gerhard Kluchert: Schule, Familie und soziale Ungleichheit in Zeiten der Bildungsexpansion: Das Beispiel der Weimarer Republik. In: Zeitschrift für Pädagogik 52 (2006), S. 642–653.

Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen-Lexikon. 2., aktualisierte, überarbeitete und erweiterte Auflage. Band 1. A–K, Bremen 2003.

Frank Tosch: Gymnasium und Systemdynamik. Regionaler Strukturwandel im höheren Schulwesen der preußischen Provinz Brandenburg 1890–1938, Bad Heilbrunn 2006.

Eva Schiffmann

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