Zum Hauptinhalt
Hinweis: Um die korrekte Darstellung der Seite zu erhalten, müssen Sie beim Drucken die Hintergrundgrafiken erlauben.
Sie befinden sich hier:  Tagebuch > Wer war Eva Schiffmann? > Kinogängerin

Kinogängerin

Eva Schiffmann ging in Gotha regelmäßig und gerne ins Kino oder ins Theater. In ihrem Tagebuch notierte sie, welche Filme sie sah und was ihr der Kinobesuch bedeutete.

  • Warum ist Evas Tagebuch eine wichtige Quelle der Kinogeschichte?

Über das persönliche Kinoerlebnis in den 1920er Jahren und die Vorlieben des Kinopublikums ist heute wenig bekannt, da es dazu kaum Quellen gibt.

Meinungsumfragen oder konkrete Erhebungen zu Kinobesuchen hat es in den ersten Jahren des Kinos noch nicht gegeben. Für das Geschichtswissen über den Einfluss von Filmen auf Jugendliche in den 1920er Jahren sind daher die Tagebucheinträge aufschlussreich, in denen Eva ihre Kinoerlebnisse festgehalten hat.

Ins Kino ging Eva mit ihren Freundinnen und Cousinen. Der Kinobesuch war für sie ein Erlebnis. Er bot eine willkommene Gelegenheit, weg von zuhause zu sein. Mädchen und Frauen wurden in den 1920er Jahren in der städtischen Öffentlichkeit sichtbar. Auch Eva musste sich den Gang ins Kino und ihre Freiräume erst erkämpfen. Sie beschrieb die Konflikte mit der Mutter, die „so selten irgendwohin geht.“ (15.2.29.)

Ein ständiger Streitpunkt zwischen Mutter und Tochter war das Taschengeld: „Am liebsten ginge ich jeden Tag ins Kino oder Theater und nie habe ich Geld. So wenig wie diese Spielzeit bin ich die letzten Tage nicht im Theater gewesen. Aber jetzt bekomme ich jede Woche eine Mark und muß davon das alles bezahlen, dann ist es klar, daß man da nicht oft ins Kino oder Theater gehen kann, zumal ich mir meine Bücher selbst bezahlen muß, weil das Geschäfte so schlecht gehen.“ (d. 9.2.28.)

Offenbar verlangte die Mutter von Eva, sparsamer zu sein. Sie sollte ihr Geld für Kleidung und Schmuck ausgeben, statt ins Kino oder Theater zu gehen: „Wenn ich ins Theater gehen will, (für mein Tascheng.) sagt Ma: „Man muß doch nicht alles sehen!“ läßt mich entweder nicht gehen, oder sagt unwillig: meinetwegen. Wenn ich mir aber für ebensoviel money eine Schleife zum Kleid oder so etw. kaufen würde, wäre sie zufrieden. Sie hält uns immer vor, daß sie so selten irgendwohin geht. Das stimmt, kommt aber daher, weil sie das Geld für Kleidung zusammenhält. Ich gehe aber lieber ins Theater.“ (15.2.29.)

An anderer Stelle beschrieb Eva, wie sie mit ihrem Bruder die Mutter vom Theater abholte. Frieda Schiffmann hatte sich die Operette „Die Csardasfürstin“ angesehen. Eva beschrieb, wie ihr das Summen der Mutter auf dem Heimweg auf die Nerven ging. Deren Theatervorlieben trafen ganz offensichtlich nicht ihren Musikgeschmack: „Mama war heute im Theater, was sehr selten vorkommt. (Csardasfürst.) Max u. ich holten sie ab. Sie war in sehr angenehmer Stimmung. Ich hätte am liebsten Schweigen geboten, als sie anfing zu summen.“ (Gotha, d. 1.1.1929.)

Eva mochte die modernen Tänze: „Frau Bockler hat uns in den Ferien Polka mit Übertreter, Polka-Marzurka, Walzer [gezeigt]. Die modernen Gehtänze kann ich auch so ungefähr. Charleston, auch ein bisschen. Der letztere wird eigentlich nicht viel getanzt, er ist so unästhetisch.“ (d. 22.1.28.)

Wie für andere Jugendliche und junge Erwachsene auch strahlte das Kino für Eva einen besonderen Reiz aus. Das Kino war ein öffentlicher Raum, der zugleich sehr privat und intim war. In den abgedunkelten Kinosälen waren die anderen Zuschauer zu hören, aber nicht zu sehen. Die Dunkelheit und die körperliche Nähe zum anderen Geschlecht beflügelten Wünsche und Phantasien. Vor allem Mädchen und junge Frauen konnten sich hier der Aufsicht und Kontrolle entziehen. 

Die alten moralischen Erwartungen an ein sittsames Verhalten von Mädchen und Frauen werden in einigen Tagebucheinträgen noch sichtbar. So beschrieb Eva, wie sie Einladungen zum Kinobesuch und Treffen mit einem Mitschüler „natürlich“ ablehnte: „Einmal hat er [Schmettow] mich fragen lassen, ob ich schon in Ben-Hur war, oder ob ich abends mal rauskommen könnte. Natürlich habe ich Nein gesagt. Damals war ich schon in Ben-Hur gewesen.“ (Gotha, d. 23.10.27.)

Ein anderer Junge aus ihrer Klasse fühlte sich von Eva zugleich angezogen und abgestoßen. Kokett und selbstbewusst kommentierte sie seinen Argwohn, mit dem er ihrem Verhalten als Mädchen begegnet war: „Neulich sagte er [Otto Geier]: ‚Überall, wo Blödsinn gemacht würde, sei ich dabei.‘ Weil ich ins Kino gehe und gern tanze. Über das Tanzen schimpft er am meisten.“ (d. 22.1.28)

Mit 15 Jahren besaß Eva drei Alben, in die sie Fotos bekannter Filmschauspielerinnen und Filmschauspieler einklebte. Ihre Sammelleidenschaft gehörte zum neuen Starkult des Kinos: „Ich sammle mir berühmte Filmschauspieler. Ich habe schon 3 Mappen vollgegklebt.“ (4. Dez. 27.)

Einige Kinostars der 1920er Jahre hat Eva namentlich erwähnt: „Berühmte Filmschauspieler sind jetzt: Charlie Chaplin, Konrad Veit, Emil Jannings, und viele andere. Sehr berühmt ist die Berliner Schauspielerin Elisabeth Bergner u. die Filmschauspielerin Henny Porten.“ (Gotha, d. 23.10.27.)

Schauspielerinnen wie Elisabeth Bergner und Henny Porten verkörperten das Bild der neuen Frau, die wirtschaftlich unabhängig war und sagte, was sie wollte. In der Vorstellung der Zeitgenossen war die typische Kinogängerin ein Glamourgirl, das tagsüber in einem Schreibbüro oder im Kaufhaus arbeitete, nach Feierabend ins Kino ging und Charleston tanzte.

Was dieses vom Kino selbst beeinflusste Bild mit der Realität zu tun hatte, ist umstritten. Einige Historiker:innen behaupten, dass das neue Frauenbild nur wenig mit dem Leben der meisten Frauen in der Weimarer Zeit gemein hatte.

Durch Vorbilder wurden junge Frauen jedoch ermutigt, gegen Konventionen und enge Rollenbilder aufzubegehren. Ob alle Frauen frei leben wollten und leben konnten, ist damit jedoch noch nicht gesagt. Allerdings entwickelten die Bilder des Kinos und in illustrierten Zeitungen eine enorme Macht für ein gleichberechtigtes Leben von Frauen.

Ausführlich schilderte Eva eine persönliche Begegnung mit dem Schauspieler Max Pallenberg. Pallenberg galt nicht nur als großer Charakterdarsteller des Stummfilms. Er war auch mit der Sängerin Fritzi Massary verheiratet, die Höchstgagen verdiente. Auf allen großen Berliner Bühnen feierte sie Erfolge. Im Kult um das Paar verschmolzen künstlerische Leistung und die Neugier des Publikums an dessen Privatleben.

In Gotha trat Max Pallenberg in der Theaterkomödie „Familie Schimek“ auf. Noch im Schreiben ihres Tagebuchs wird Eva emotional: „Max Pallenberg gab hier mit seinem Ensemble ein Gastspiel; was sehr schön war. Nach der Vorstellung stellten wir uns am Ausgang auf. Ilse, Toni, Anna, Käthe, Sarah Steinhaus und ich. Ein Auto stand schon da. Endlich kam Pallenberg. Wir Auf Wiedersehen‘, worauf er Guten Abend‘ sagte. Wir bekamen Mut. Käthe und ich stellen uns am Eingang Auto hin, worin er mit einer Schauspielerin saß. Als der Chauffeur Miene machte, abzufahren, riefen wir zwei nochmal ‚Auf Wiedersehen‘. Da drehte er sich um und streckte uns die Hand entgegen. Schnell ergriff ich sie, auch die anderen kamen heran. Er gab allen freundlich die Hand und sprach eine ganze Weile mit uns. Dann fuhr er ab und winkte uns noch zu. Wir freuten uns sehr darüber, daß er so nett war. Die Gothaer Schauspieler Schauspieler sind aller sehr viel eingebildeter, trotzdem sie nicht so berühmt sind wie dieser. Hier gibt es überhaupt keine netten.“ (Gotha, d. 16.10.27.)

Aus Evas Tagebuch geht hervor, dass sie in Gotha die großen deutschen und internationalen Stummfilme gesehen hat. Zu den  typischen Filmen der 1920er Jahre gehörten Historienfilme, die gesellschaftliche Umbrüche in der Geschichte thematisierten. Das Kino griff damit Erfahrungen auf, die viele Menschen im Ersten Weltkrieg und mit der Novemberrevolution selbst gemacht hatten.

In der Hollywood-Komödie „Der General“ (1926) diente der Amerikanische Bürgerkrieg (1860–1865) als Hintergrund für eine Liebesgeschichte. Dass der Film floppte, wurde damals unter anderem damit erklärt, dass das ernste Thema Krieg sich nicht für eine Komödie eignete. Die Gags und der gezeigte Tod von Menschen irritierten nicht nur die Kritiker. Aufgrund der Bildgestaltung und wegen des Einsatzes fahrender Kameras zählt der Film heute jedoch zu den bedeutenden Werken der Filmgeschichte.

Der Film „Revolutionshochzeit“ (1928) spielt zur Zeit der Französischen Revolution. Die Handlung setzt mit der Jakobinerherrschaft ein, die Kulisse für ein Liebesdrama ohne Happy End ist.

Darüber hinaus hat Eva die Verfilmung des Romans „Ben Hur“ gesehen. Dessen schlichte, fiktive Handlung führt in die römische Besetzung Jerusalems. Der Film wurde in Kalifornien und in Italien gedreht und ein internationaler Erfolg. Er galt vor allem technisch als Meisterwerk und rief in den Kinos spontane Begeisterung hervor.

Der Filmkritiker Siegfried Kracauer beschrieb die damalige Wirkung auf das Kinopublikum: „Er ist in der Tat ein Monstrefilmwerk, in dem durch Regiekunst, unerhörtes Massenaufgebot, Großbauten und Hintergründe die Handlung des bekannten Romans nicht ohne Großartigkeit vergegenwärtigt wird. Das Wagenrennen, eine technisch außerordentliche Leistung, wurde spontan beklatscht.“ (Kracauer: Kleine Schriften zum Film, S. 263)

Die so gefilmte Szene des Wagenrennens wäre im Theater nicht darstellbar gewesen. Der Film gab historische Realität vor. Er war zugleich Kunst, die sich durch eine inszenierte Bildfolge und den Rhythmus von einem platten Realismus abhob.

Der Film „Der Heilige Berg“ (1926) erzählte die Geschichte einer Frau, die sich zwischen zwei Männern entscheiden musste. Die Hauptrolle dieser Tänzerin spielte Leni Riefenstahl. Eva notierte in ihr Tagebuch: „ein sehr schöner Film.“ (Gotha, d. 23.10.27.)

Kinofilme veränderten die Wahrnehmung der Welt grundlegend. Das galt auch und insbesondere für die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die von strengen Umgangsregeln geprägt waren. Im scharfen Kontrast dazu stand das Kino. Auf der Leinwand gestanden sich Männer und Frauen ihre Gefühle, verrieten Absichten und verliehen alltäglichen Gesten eine hintersinnige Erotik. In seinen Anfangsjahren zeigte das Kino das Leben daher, wie es gesellschaftlich noch nicht akzeptiert war.

Der Filmkritiker Siegfried Kracauer würdigte 1926 die Naturaufnahmen des Films, die das Publikum emotional mitrissen und Sehgewohnheiten veränderten:  „Die Aufnahmen aus den Bergen sind überall da, wo es sich um Naturaufnahmen handelt, so groß und gewaltig, daß man von der Schönheit und Kraft dieser Szenen erschüttert ist. Es ist prachtvoll, wie Skispringer wie Vögel durch die Luft (als Zeitlupenaufnahme) von der Sprungschanze herabspringen. Bei den Skirennen im 120-Kilometer-Tempo von den Bergen herab wurde das Publikum bei offener Szene zu spontanem Beifall hingerissen. Fast überirdisch schön sind die Eisbauten von Leopold Blonder. Der Film ist überall da groß und gewaltig, wo die Natur selbst im Vordergrund des Geschehens steht, und der Kampf, den der Mensch mit ihr auszufechten hat." 

Für die damalige Zeit anstößig war der Film, weil eine Frau auf offener Bühne um Unterstützung für die Rettung zweier Männer bittet. Kracauer rezensierte diese Szene mit Leni Riefenstahl so:  "Außerdem ist die Bearbeitung dieses Films aus einer gewissen intellektuellen Perspektive heraus entstanden, die der allgemeinen Mentalität nicht Rechnung trägt. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Während einer Tanzvorstellung im Kurort des Berghotels erfährt die Tänzerin, daß ihr Bräutigam und dessen Freund von einer Hochtour noch nicht zurückgekommen sind. Sie bittet von der Bühne herab die Sportsleute unter dem Publikum, trotz des schlechten Wetters zur Sennhütte aufzusteigen, um die Bergführer, die dort ein Fest feiern, zu veranlassen, eine Rettungsexpedition auszurüsten. Als das Publikum in eisigem Schweigen ablehnt, fragt sie: ‚Auch nicht meinetwegen?‘ “ (Kracauer: Kleine Schriften zum Film, S. 298)

Auch den Film des Regisseurs Fritz Lang „Metropolis“ (1926) sah Eva im Gothaer Kino Capitol. „Metropolis“ war einer der ersten Science-Fiction-Filme. Auf der Leinwand pulsierte die Stadt in blendendem Licht. Menschen waren dem Maschinentakt unterworfen und wirkten wie ein gigantisches Ballett. Das Urbane und moderne Arbeitswelten waren typische Themen des Weimarer Kinos.

Mit den spektakulären Spezialeffekten und Bildmotiven einer Neuen Sachlichkeit in "Metropolis" war indessen eine eher schlichte Handlung verbunden: Arbeiter leben in der Unterstadt. Sie bedienen die Maschinen, die das Leben an der Oberfläche möglich machen. Zu den Reichen, die sich mit ausgelassenen Feiern am Glanz der Nacht berauschen, gehört auch Freder. Er ist der Sohn des Herrschers über die Unterstadt Metropolis. Freder verliebt sich in die engelhafte Maria, die sich den Kindern der Unterstadt angenommen hat und als Heilige der Unterdrückten auftritt. Der Vater, der um seine Macht über Metropolis fürchtet, ist gegen die Beziehung, kann sie aber nicht verhindern. Es gibt ein Happy End.

Jenseits der romantischen Liebesgeschichte galt der Film zugleich als Utopie und Dystopie (Antiutopie) einer modernen Gesellschaft. Die Zukunft wurde als Herrschaft der Technik über den Menschen und Wiederkehr der Sklaverei dargestellt. In Gotha waren die täglichen Vorstellungen ausverkauft. Die Vorführung des Films wurde verlängert. Eva hielt im Tagebuch fest: „Im Kino war ich neulich in ‚Metropolis‘ mit Brigitte Helm und Gustav Froelich. Der Vater war auch ein Millionär und der Sohn sympathisierte mit den Arbeitern. Mir sind ‚solche Söhne‘ natürlich sehr sympathisch. Und gerade Gustav Froelich sehe ich sehr gern im Film.“ (d. 26.2.28.)

Die folgenden Beispiele zeigen, welche Filme Eva offenbar noch nicht sehen durfte, welche sie nicht gesehen hat oder in ihrem Tagebuch nicht bemerkenswert fand.

  • Werbefilme (u.a. mit Mode der Gothaer Firma Conitzer & Söhne)
  • Dokumentarfilme (u.a. 1929 „Das Sonnenland von Süd-West-Afrika“)
  • Sportfilme (u.a. 1928 „Die elf Teufel“ Fußballfilm, 1929 „Gesiegt“ über einen Boxkampf Max Schmelings sowie ein Film über das 14. Turnfest Köln)
  • Literaturverfilmungen (u.a. 1929 „Die Büchse der Pandora“, „Die Buddenbrocks“)
  • Komödien (u.a. mit Pat und Patachon, Charlie Chaplin)
  • Preußenfilme (u.a. 1926 „Bismarck – der Film der Deutschen“, 1928 „Hindenburg“)
  • Sowjetische Filme (u.a. 1928 „Panzerkreuzer Potemkin“, 1929 „Pamir“)
  • Republikfeindliche Propagandafilme (u.a. 1928 „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, 1929 „Reichsparteitag der NSDAP“)
  • Kriegsfilme (1927 „Unsere Emden“, 1929 „Verdun“)
  • Antikriegsfilme (1928 „Stacheldraht“)
  • Wochenschauen (Ufa-Woche, Deulig-Woche, Trianon-Woche u.a.)

Auch in Gotha gab es Nachtvorstellungen, zu denen Eva keinen Zutritt hatte. Dazu gehörten 1929 die Filme „Falsche Scham“ und „Was die Frau, was der Mann von der Ehe wissen muss“. Die Filme, die Eva in ihrem Tagebuch erwähnt, sind insofern nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Programm der Gothaer Kinos. Filmerfolge wie „Ben Hur“ bestimmten das Stadtgespräch und standen für einen Massengeschmack, den das Kino förderte und bediente.

Aber nicht alle Filme sprachen ein Publikum an, das „vom Bankdirektor bis zum Handlungsgehilfen, von der Diva bis zur Stenotypistin“ (Kracauer: Kleine Schriften zum Film, S. 210) reichte. Die Weimarer Kinokultur war plural und umkämpft. Sie bediente unterschiedliche Weltanschauungen und politische Interessen. Auch in Gotha gab es Filme für die Vorlieben des Arbeitermilieus und für den Geschmack eines bürgerlichen Publikums. Es wurden Sondervorführungen für Jugendliche in Schulen, in der Kirche und in Vereinslokalen organisiert.

Max Pallenberg gab hier mit seinem Ensemble ein Gastspiel; was sehr schön war. Nach der Vorstellung stellten wir uns am Ausgang auf. Ilse, Toni, Anna, Käthe, Sarah Steinhaus und ich. Ein Auto stand schon da. Endlich kam Pallenberg. Wir riefen „Auf Wiedersehen“, worauf er „Guten Abend“ sagte. Wir bekamen Mut. Käthe und ich stellen uns am Eingang Auto hin, worin er mit einer Schauspielerin saß. Als der Chauffeur Miene machte, abzufahren, riefen wir zwei nochmal „Auf Wiedersehen“. Da drehte er sich um und streckte uns die Hand entgegen. Schnell ergriff ich sie, auch die anderen kamen heran. Er gab allen freundlich die Hand und sprach eine ganze Weile mit uns. Dann fuhr er ab und winkte uns noch zu. Wir freuten uns sehr darüber, daß er so nett war. Die Gothaer Schauspieler Schauspieler sind aller sehr viel eingebildeter, trotzdem sie nicht so berühmt sind wie dieser. Hier gibt es überhaupt keine netten. (Gotha, d. 16.10.27.)

In letzter Zeit gehe ich hier gar nicht mehr gern ins Theater, sondern viel lieber ins Kino. (Gotha, d. 23.10.27.)

Berühmte Filmschauspieler sind jetzt: Charlie Chaplin, Konrad Veit, Emil Jannings, und viele andere. Sehr berühmt ist die Berliner Schauspielerin Elisabeth Bergner u. die Filmschauspielerin Henny Porten. (Gotha, d. 23.10.27.)

Einmal hat er mich fragen lassen, ob ich schon in Ben-Hur war, oder ob ich abends mal rauskommen könnte. Natürlich habe ich Nein gesagt. Damals war ich schon in Ben-Hur gewesen. Es war sehr schön gewesen. Ramon Navarro war Ben-Hur u. May McAvoy die Tochter des Sklaven. (Gotha, d. 23.10.1927)

Der heilige Berg war auch ein sehr schöner Film. (Gotha, d. 23.10.27.)

Ich wollte eigentlich heute ins Kino gehen, habe es aber auf morgen verschoben. Es gibt „Der General“ von Buster Keaton. (4. Dez. 27.)

Ich sammle mir berühmte Filmschauspieler. Ich habe schon 3 Mappen vollgegklebt. (4. Dez. 27.)

Ich werde Dienstag in die „Walküre“ gehen. Ich habe bis jetzt noch nichts von Wagner gehört. Ich war jetzt ein paar Mal im Kino. (d. 22.1.28.)

Man kann es eigentlich nicht befreundet nennen, wir gehen selten mal zusammenspazieren oder ins Kino und weiter nichts. (d. 22.1.28.)

Neulich sagte er: ‚Überall, wo Blödsinn gemacht würde, sei ich dabei.‘ Weil ich ins Kino gehe und gern tanze. Über das Tanzen schimpft er am meisten. Frau Bockler hat uns in den Ferien Polka mit Übertreter, Polka-Marzurka, Walzer [gezeigt]. Die modernen Gehtänze kann ich auch so ungefähr. Charleston, auch ein bisschen. Der letztere wird eigentlich nicht viel getanzt, er ist so unästhetisch. (d. 22.1.28)

Im Kino war ich neulich in ‚Metropolis‘ mit Brigitte Helm und Gustav Froelich. Der Vater war auch ein Millionär und der Sohn sympathisierte mit den Arbeitern. Mir sind ‚solche Söhne‘ natürlich sehr sympathisch. Und gerade Gustav Froelich sehe ich sehr gern in Film. Am liebsten ginge ich jeden Tag ins Kino oder Theater und nie habe ich Geld. So wenig wie diese Spielzeit bin ich die letzten Tage nicht im Theater gewesen. Aber jetzt bekomme ich jede Woche eine Mark und muß davon das alles bezahlen, dann ist es klar, daß man da nicht oft ins Kino oder Theater gehen kann, zumal ich mir meine Bücher selbst bezahlen muß, weil das Geschäfte so schlecht gehen. (d. 26.2.28.)

Neulich war ich im Theater. Madame Butterfly. mit Anna u. Käte. Mit ihnen war ich auch im Schubert-Abend am Freitag. (Gotha, d. 4.11.1928)

Mama war heute im Theater, was sehr selten vorkommt. (Csardasfürst.) Max u. ich holten sie ab. Sie war in sehr angenehmer Stimmung. Ich hätte am liebsten Schweigen geboten, als sie anfing zu summen. (Gotha, d. 1.1.1929.)

Ich war heute im Kino: Revolutionshochzeit. Es hat mir sehr gut gefallen. (20.1.29.)

Siegfried Kracauer: Kleine Schriften zum Film, Band 6.1: 1921–1927, hg. von Inka Mülder-Bach, Frankfurt am Main 2004.

Dieter Krusche (Hg.): Reclam Filmführer, 13. Auflage, Stuttgart 2008.

Judy Slivi: Gothaer Kinogeschichte von 1900 bis 1933, Bad Langensalza 2015.

Michael Töteberg: Metzler Film Lexikon, 2. Auflage, Stuttgart 2005.

Eva Schiffmann

Thema