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Viele sagten, sie seien gegen den Krieg, würden aber mitgehen.
Gotha, d. 3.2.29.
Krieg und Frieden
Obwohl das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 mit Erleichterung aufgenommen worden war, hatte die Friedensbewegung einen schweren Stand. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung lehnte den Versailler Friedensvertrag von 1919 ab.
- Wie wurde an den Ersten Weltkrieg erinnert?
- Warum war eine Zukunft in Frieden unsicher?
Schätzungen gehen davon aus, dass in den Ländern, die am Krieg beteiligt waren, jede Familie um mindestens einen Toten trauerte. Mehr als zehn Millionen Soldaten starben insgesamt. Mit den toten Zivilisten war die Zahl der Opfer noch höher.
Die Kriegserinnerung nahm unterschiedliche Formen an. Sie war nicht zuletzt von politischen Haltungen abhängig. Die breite Ablehnung der deutschen Verantwortung für den Krieg, auf Rache sinnende Gedenkrituale und verherrlichende Kriegsdarstellungen bewirkten, dass Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg keine Friedensgesellschaft wurde.
Zwischenkriegszeit
Die Vorstellung von inneren und äußeren Feinden des Deutschen Reiches fiel auch nach dem verlorenen Krieg auf fruchtbaren Boden. Sie wurde durch Mythen, Rachefantasien und eine Verleugnung der Wirklichkeit genährt. Die militärische Niederlage fühlte sich für viele Deutsche nicht so an, wenn sie ihre moralische und kulturelle Überlegenheit gegenüber anderen Menschen und Kulturen betonten.
1927 kam eine wissenschaftliche Studie zu dem Schluss, dass das „tragische Ausmaß“ des Realitätsverlustes in der deutschen Bevölkerung eine der wichtigsten Kriegsfolgen sei. Dass ein erneuter Krieg ein politisch legitimes Mittel war, die Großmachtstellung Deutschland zurückzugewinnen, entsprach damals einer weit verbreiteten Überzeugung.
Idealisierte und wirklichkeitsfremde Kriegsdarstellungen sprachen dabei vor allem diejenigen an, die im Ersten Weltkrieg noch zu jung für den Kriegsdienst gewesen waren. In den letzten Jahren der Weimarer Republik radikalisierten sich gerade die jungen Deutschen, die den Krieg an der Front nicht miterlebt hatten.
Pazifismus
Die Friedensbewegung war vor allem unmittelbar nach dem Krieg populär. In den ersten fünf Jahren fanden vielerorts Massendemonstrationen unter dem Motto „Nie wieder Krieg!“ statt.
Mit Ludwig Quitte (1927) und Carl von Ossietzky (1935) erhielten zwei aktive Pazifisten der Weimarer Republik den Friedensnobelpreis. 1926 war Gustav Stresemann vom Nobelkomitee für seine ausgleichende Politik gegenüber Frankreich als Reichskanzler und Außenminister ausgezeichnet worden, zusammen mit dem französischen Außenminister Aristide Briand.
Wer sich der Idee des Friedens verschrieben hatten, sah sich dennoch dem Vorwurf des Landesverrats und anderen Verleumdungen ausgesetzt.
Zum Ende der Weimarer Republik war die pazifistische Bewegung in Deutschland in sich zerstritten und gesellschaftlich isoliert. Sie scheiterte nicht nur an der Grundsatzfrage, ob der Frieden durch den wieder erstarkten deutschen Militarismus oder durch äußere Feinde bedroht sei. Innere Kontroversen wurden auch angefacht, weil friedensbejahende mit demokratischen Haltungen und militaristische mit antidemokratischen Einstellungen eng verbunden waren.
Umstrittene Kriegserinnerung
Darstellungen des Ersten Weltkrieges beeinflussten die Kultur der 1920er Jahre. Die Antikriegshaltung vieler Künstler bestimmte die Wahl ihrer Themen und brachte neue künstlerische Ausdrucksformen hervor. Ihrer anfänglichen Kriegsbegeisterung stellten sie die tiefe Desillusionierung an der Front gegenüber. Gewaltträchtige Darstellungen sollten das Publikum schockieren und Abscheu vor dem Krieg ausdrücken.
In Film, Literatur und Kunst wurde jedoch keine einheitlich akzeptierte Geschichte des Krieges erzählt. Erlebnisberichte, Romane oder Bilder boten unterschiedliche Deutungen der Jahre 1914 bis 1918 an. Sie reichten vom Krieg als einem heroischen Ereignis, der Kriegserfahrung als abhärtendes Erlebnis bis hin zu den kriegskritischen Produktionen, die in drastischer Weise das Kriegsleid darstellten.
Ein bekanntes Beispiel für die fundamental gegensätzliche Kriegsinterpretation ist die öffentliche Auseinandersetzung um den 1929 erschienenen Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque. Sie erreichte 1930 ihren Höhepunkt als die US-Filmversion in die deutschen Kinos kam. Filmvorführungen wurden sabotiert und das Publikum eingeschüchtert. In einem Berliner Kinosaal setzten Nationalsozialisten Mäuse aus, um die Verbreitung des Films über die Geschichte von sieben Oberschülern zu verhindern, die im Krieg ihre Ideale verloren hatten.
Lokale Kriegserinnerung
In Städten und Dörfern gab es viele lokale Aktivitäten, mit denen Menschen an den Ersten Weltkrieg erinnerten. Kriegsveteranen schlossen sich in Verbänden zusammen. Sie stifteten Denkmäler, organisierten öffentliche Paraden und das Gedenken an bestimmte Regimenter und Schlachten.
1922 wurde im Eingang der Gothaer Aufbauschule eine Gedenktafel angebracht. Alle, die in der Schule ein- und ausgingen, sollten für ewig an die gefallenen Schüler des einstigen Lehrerseminars erinnert werden.
Im Gegensatz zu diesem schlichten Erinnerungszeichen wurde 1927 auf der Südseite des Gothaer Schlosses ein Denkmal an das 6. Thüringische Infanterieregiment Nr. 95 errichtet. Das Soldatenstandbild auf einem Sockel war sieben Meter hoch. Die Feldausrüstung und das Gewehr, ein Eisernes Kreuz und heroische Sinnsprüche gaben dem Denkmal eine eindeutig unversöhnliche Botschaft: „In Sturm und Not, Treu bis in den Tod.“
Der Gedanke an Revanche wurde auch auf der Straße lebendig gehalten. Im zehnten Friedensjahr 1929 protestierte der Gothaer Landeskriegerverband gegen den Versailler Vertrag. Sein Umzug durch die Stadt gruppierte sich um ein nachgebildetes U-Boot und um die Attrappe eines schweren Geschützes.
Andere Formen und Rituale der Erinnerung stellten die Kriegstoten und die Folgen des Krieges in den Mittelpunkt. Vielerorts löste das Gedenken Auseinandersetzungen zwischen kommunalen Ausschüssen, Veteranengruppen, Jugend- und Frauengruppen sowie anderen Beteiligten aus.
Im Kern ging es um die Frage einer ethisch und politisch angemessenen Trauer um die gefallenen, vermissten und kriegsversehrten Soldaten. Die Absicht, die Opfer als Helden zu glorifizieren und ihrem Tod nachträglich einen nationalen Sinn zu geben, stieß auch in Gotha auf Widerspruch. Ein ehemaliger Soldat, der sich nicht geehrt fühlte, lehnte den "Denkmalsfimmel" entschieden ab: "Was nützt es, wenn man den Gefallenen ein kostbares Denkmal setzt und die Hinterbliebenen und zu Krüppeln geschossenen im Elend sitzen lässt." (Volksblatt, 3.9.1925)
Abgesehen von Denkmälern, Gedenktafeln und Veranstaltungen sowie den Darstellungen in Kunst und Literatur wurde der Erste Weltkrieg auch im Privaten verhandelt. Eva interessierte sehr, wie über Krieg gedacht wurde. Obwohl sie 1914 bis 1918 noch zu jung war und daher keine eigenen Erfahrungen gemacht hatte, beeinflussten die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg ihre Suche nach einem Platz in der Welt. Eva sah sich als Pazifistin.
Wissenschaftliche Darstellungen und Quellen
Claudia Siebrecht: Die Präsenz des Ersten Weltkriegs in der Kultur der Weimarer Republik. In: Nadine Rossol, Benjamin Ziemann (Hg.): Aufbruch und Abgründe. Das Handbuch der Weimarer Republik, Darmstadt 2021, S. 848–875.
Judy Slivi: Gotha 1918 bis 1933. Stadt der Gegensätze, Nürnberg 2015, S. 56, 198–199.
Otto Baumgarten u.a.: Geistige und sittliche Wirkungen des Krieges in Deutschland, Stuttgart / Berlin / Leipzig 1927, S. 13–14.
Wolfram Wette: Ernstfall Frieden. Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914, Bremen 2017, S. 169–281.
Landesarchiv Thüringen, Volksbildungsministerium B 2938 Jahresberichte Deutsche Aufbauschule 1913-1932/33, 1939-1940/41, Bl. 8 und 12.